Kolumne: Mama und der Medienmuskel
Als ich noch keine Mama war, haben wir unseren Sonntagmorgen gern zu zweit im Bett verbracht. Dazu gehörten Kaffee und eine Staffel „Die Feuersteins“. Nach Merlins Geburt war Schluss mit der seligen sonntäglichen Zweisamkeit. Und Schluss mit Fred und Wilma Feuerstein.
Viele Jahre nach dem letzten „Steinzeit-Frühstück“ tauchte die Erinnerung daran wieder auf. Wie ich mich damit medienpädagogisch ins Aus befördert habe und was wir als Familie daraus lernten, erzähle ich in der Kolumne.
Es gibt etwas bei uns zu Hause, das niemals ausgeht – Ideen. Leider sind richtige Blindgänger dabei. Und manchmal muss ich über meine pädagogischen Ausreißer lachen. Lachen über meine Naivität und den unbeirrbaren Glauben an meine Erziehungs-Literatur: Die nützt nämlich nichts, wenn sich meine Spontaneität Bahn bricht und Unfug macht. Nicht ganz unähnlich meinem Kumpel Fred Feuerstein.
Plan B zum Sandmännchen
Es ist früher Abend. Meine Mama-Freundin und ich haben heute keine Lust aufs Sandmännchen mit diesen quäkenden Puppen. Irgendetwas anderes musste her für unsere beiden Jungs. Da erinnere ich mich an die kindliche Freude, die ich an den „Feuersteins“ hatte.
Kurzentschlossen, Hirn aus, PC an, werfe ich eine DVD in den Laptop. Es dauert nicht lange, und Fred tut, was er am besten kann – andere malträtieren. Nach ungefähr zwei Minuten nicht ganz gewaltfreier Kommunikation schnappt sich der Steinzeit-Mann einen Knüppel. Er schwingt ihn bedrohlich durch die Luft und jagt seinem Freund Barney hinterher. Kurz darauf saust die Keule hinab auf Barneys Kopf. Doing, doing.
Ich glotze nicht weniger gebannt als die Boys auf den Bildschirm. Sehr, sehr langsam begreife ich, was ich da gerade mache – rote Karten fallen aus allen meinen Erziehungsratgebern.
Vom guten Vorbild
Es dauert noch ein kleines Weilchen, bis ich wieder zu Verstand komme. Unter lautem Protest der kleinen Zuschauer setze ich dem Horror endlich ein Ende. Meine Freundin und ich sehen schnell ein, dass das keine gute Idee war. Wir hoffen inständig, den Kindern keinen bleibenden Schaden zugefügt zu haben.
Ready, steady – doing
Kurze Zeit später dürfen wir die Früchte meines Unterhaltungs-Programms ernten. Merlin hatte sich den Stock seines Kinderbesens geschnappt. Er schwingt ihn drohend, während er seinen heulenden Freund jagt und ihm den Stock auf den Kopf donnert. Doing, doing. Es folgt eine Predigt, die ich mir besser selbst hätte halten sollen. Ich entschuldige mich bei meiner Freundin, diesen Unsinn kurz vor dem Schlafengehen verzapft zu haben.
Der Muttermuskel
Es ist Fakt: Ich war seit nicht einmal drei Jahren Mama. Folglich war mein Muttermuskel noch nicht übermäßig leistungsfähig. Ich besaß keinen perfekt eingestellten Mutterschafts-Katalysator, durch den ich meine Impulse und Ideen zur Schadensbegrenzung hätte jagen können.
Im Übrigen besitze ich den auch heute noch nicht. Ich fand und finde mich damit ab, spontan zu sein. Ich probiere Ideen aus, statt alle möglichen Folgen abzuwägen. Was würde das auch bringen? Wir lernen durch Erfahrung, nicht durch Hypothesen.
Was gelernt, Mama?
Dennoch entwickelt sich auch mein Filtersystem über die Jahre weiter. Die beiden Jungs zeigten und zeigen mir bis heute, welche negativen Folgen nicht kindgerechter Medienkonsum haben kann.
Medien aller Art finde ich super. Ich finde sie super, weil ich langsam hineinwachsen durfte. Schritt für Schritt habe ich gelernt, wie Medien funktionieren. Und wie ich mit Medien funktioniere. Ich war Anfang 20, als ich zu Beginn der 1990er-Jahre mit Internet und digitalen Medien in Berührung kam.
Medienkonsum – von null auf hundert
Heute kommen Kinder oft noch vor den ersten Schritten in Kontakt mit allen möglichen Medien. Es ist unsere Aufgabe, ihnen den Weg zu zeigen, sie nicht allein im Netz zu lassen. Wir müssen sie schützen und unterstützen. Gleichzeitig darf das nicht vor dem Hintergrund von Angst und Paranoia geschehen.
Meine Erfahrung und die Ergebnisse der Kinder Medien Studie 2019 legen nahe: Lasst uns altersentsprechende digitale Medien gemeinsam Ausprobieren und damit Spaß haben.
Eltern müssen versuchen, die Welten der Kids zu verstehen. (Maik Rauschke, Sozialpädagoge und Jugendtreff-Leiter, Wolfsburg)
Trial-and-Error
Heute, fast drei Jahre nach Merlins erster und vorerst letzter Begegnung mit Fred Feuerstein, haben wir eine klarere Haltung in Bezug auf Medienkonsum und Medienzeit entwickelt. Bei uns gibt es keine digital-medialen Rituale. Schauen und Spielen im Netz verhandeln wir auf Nachfrage und im Rahmen des festgelegten Zeitbudgets.
Ansprechen, aussprechen, darüber sprechen
Gestern erklärte Merlin, er habe Angst, ein Tier zu werden. Warum das so sei, wisse er nicht. Aha, dachte ich. War das zu viel „Ninjago“ in den letzten Wochen? Ich klappte meinen PC zu, setzte mich zu ihm. Wir unterhielten uns über die nicht ganz kindgerechte Serie und die Gefühle, die die Figuren bei ihm auslösen. Mir wurde wieder klar: Kinder sollten lieber nicht allein vor dem Bildschirm sitzen. Und wir Eltern machen einen guten Job, wenn wir wissen, was unseren Kids an ihren Helden gefällt. So lernen wir unsere Kinder und ihre Bedürfnisse besser kennen.
Es geht nicht um unsere Zukunft, sondern um die der Kinder. (Maik Rauschke)
Das Herzstück der Medienerziehung
Wir streichen Ninjago fürs Erste von der Liste akzeptabler Serien. Zu wild, zu schnell, zu brutal für einen Fünfjährigen, finden wir. Ich biete Merlin als Alternative die „Sendung mit der Maus“ oder eine Folge „Feuerwehrmann Sam“ an. Vermutlich blitze ich mit beidem ab. Am Ende werden wir uns auf eine Serie mit weniger Tempo einigen. Dafür wird sie genau die Themen aufgreifen, die meinen Sohn gerade beschäftigen.
Es ist manchmal nicht leicht, diese Themen mit dem eigenen pädagogischen Anspruch in Einklang zu bringen. Und es ist unsere Aufgabe, diesen Spagat hinzubekommen. Ich werde heute Abend mein Smartphone zur Seite legen. Dann setze ich mich zu Merlin und tauche mit ihm in seine Welt ein. Tja. Möglicherweise ist der eigene Umgang mit Netz & Co das Herzstück jeder Medienerziehung.