Medikamentensucht: Abhängigkeit auf Rezept
Schmerzmittel, Schlaftabletten, Beruhigungspillen: Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Medikamentensucht. Wie die schleichende Sucht erkannt und behandelt wird.
Was ist Medikamentensucht?
Bei „Sucht“ denken die meisten Menschen an Drogen oder Alkohol. Doch auch die Medikamentenabhängigkeit ist eine Erkrankung mit schweren körperlichen und psychischen Auswirkungen, die Betroffene oft erst spät erkennen. „Im Mittelpunkt steht das starke, unkontrollierbare Verlangen nach einem bestimmten Medikament“, sagt Suchtforscher Stefan Kühnhold.
Wie viele Menschen leiden an Medikamentensucht?
Der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) zufolge leiden etwa 1,9 Millionen Menschen in Deutschland unter Medikamentenabhängigkeit. Weil die Erkrankung unterschätzt und oft unentdeckt bleibt, gehen Experten zudem von einer hohen Dunkelziffer aus.
Ab wann sprechen Experten von Medikamentensucht?
Manche leiden an Schlaflosigkeit, andere an Depressionen: Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen Medikamente verordnet bekommen. Konsumieren die Betroffenen die Medikamente über einen längeren Zeitraum als vorgeschrieben, zu hoch dosiert oder ohne medizinische Notwendigkeit, sprechen Experten von Medikamentenmissbrauch.
Wann liegt eine Abhängigkeit vor?
Eine Abhängigkeit liegt vor, wenn Betroffene mindestens drei der folgenden Anzeichen erfüllen:
- Körperliche Abhängigkeit führt zu Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrasen und Schwitzen.
- Psychische Abhängigkeit führt zu Entzugserscheinungen wie innere Unruhe, Stimmungsabfall oder Gereiztheit.
- Zu hohe Dosierung des Medikamentes oder der Konsum, obwohl es nicht mehr verschrieben ist
- Erfolglose Versuche, die höhere Dosis zu verringern, zu kontrollieren oder zu beenden
- Eine Toleranzsteigerung: Die Betroffenen steigern die Dosis, weil die Wirkung des Medikamentes nachlässt.
- Die Beschaffung, der Konsum oder die Erholungsphasen beanspruchen viel Zeit.
- Die Vernachlässigung sozialer Kontakte oder wichtiger Aktivitäten im Beruf und in der Freizeit
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Wie äußert sich eine Medikamentenabhängigkeit?
„Betroffene vernachlässigen private und berufliche Aktivitäten, um das Medikament zu beschaffen oder zu konsumieren“, sagt Stefan Kühnhold. Weil die Gedanken fast nur noch um den Konsum kreisen, leiden die Erkrankten häufig unter starken Verstimmungen. Außerdem versuchen sie oft, die Krankheit zu verschleiern, sodass sie nur noch selten unter Menschen gehen.
Weitere Symptome sind:
- Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
- Eingeschränktes körperliches und geistiges Leistungsvermögen
- Gleichgewichts- und Bewegungsstörungen, z. B. zitternde Hände und Sturzgefahr
- Verdauungsstörungen
- Neurologische Ausfälle
- Sehstörungen
Warum kommt es zu einer Medikamentensucht?
Experten sprechen von einer „schleichenden“ Sucht. Nach einem Unfall, Schicksalsschlag, einer Verletzung oder bei chronischen Schmerzen erhalten Betroffene ein Medikament, um die Beschwerden zu lindern. Das funktioniert zunächst. Dann aber gewöhnt sich der Körper an die Substanz und Wirkung, woraufhin die Schlafstörungen oder Schmerzen wieder zunehmen. „Weil Erkrankte die Beschwerden auf die Störung zurückführen und nicht auf die Entzugssymptome, nehmen sie das Medikament weiter ein – und eine Abhängigkeit entsteht“, erklärt Stefan Kühnhold.
Wen betrifft die Medikamentensucht?
Die Erkrankung betrifft in etwa zwei Dritteln aller Fälle Frauen. Experten vermuten, Frauen suchen bei Beschwerden häufiger den Arzt auf als Männer, woraufhin sie häufiger Medikamente verschrieben bekommen. Oft entsteht eine Sucht erst in späteren Lebensphasen, weil es im Alter häufiger zu Schlafproblemen, Schmerzen oder psychologischen Störungen kommt. Zudem baut der Körper die Medikamente im Alter langsamer ab, sodass die Gefahr der falschen Dosierung wächst.
Welche Medikamente können abhängig machen?
Hier gibt es drei große Gruppen: Schlafmittel, Beruhigungsmittel und Schmerzmittel. Benzodiazepine, also Hypnotika und Schlafmittel, beruhigen, machen müde und nehmen Ängste und Anspannungen. Als gefährliche Schlafmittel gelten die Barbiturate, die das zentrale Nervensystem hemmen, und sogenannte Z-Substanzen wie Zopiclon und Zolpidem. Die dritte Gruppe bilden Opioide: starke und sehr starke Schmerzmittel wie Tramadol und Tilidin.
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Welche Folgen kann eine Abhängigkeit haben?
Weil Medikamente zu einer Gewöhnung führen, verspricht das Absetzen keine Linderung. Es braucht oft Monate, bis der Körper in den Normalzustand zurückkehrt. Auch die Lebensqualität leidet stark unter der Sucht, weil es zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen kommen kann. Als weitere mögliche Folgen können Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen auftreten. Damit es gar nicht erst so weit kommt, ist schon im Frühstadium der Erkrankung eine professionelle Behandlung wichtig.
Wie kann man sich vor einer Medikamentensucht schützen?
Die DHS hat die 4-K-Regel ins Leben gerufen, die Patienten, Ärzten und Apothekern helfen soll, Medikamente richtig anzuwenden.
- Klare Indikation: Nehmen Sie das Medikament nur ein, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht. Die längere Einnahme ist mit dem Arzt abzuklären.
- Kleinste notwendige Dosis: Nehmen Sie nur so viel ein wie nötig – und so wenig wie möglich.
- Kurze Anwendung: Nehmen Sie das Medikament nur für eine Übergangszeit ein.
- Kein schlagartiges Absetzen: Sie sollten die Dosis langsam verringern – und nicht plötzlich aufhören mit der Einnahme.
Was kann man gegen Medikamentensucht tun?
Wenn die Sucht schon fortgeschritten ist, kann Patienten ein Entzug helfen – der aber unter ärztlicher Begleitung stattfinden muss. „Spätestens, wenn es dem Patienten selbst nicht gelingt, aufzuhören, sollten eine professionelle Hilfe und Behandlung erfolgen. Dazu wäre, je nach Störung, der Schmerztherapeut, Schlafmediziner oder Psychiater der richtige Ansprechpartner“, sagt Stefan Kühnhold. Während der Behandlung reduzieren die Patientenschrittweise die Dosis, bis sie nicht mehr abhängig sind.
Wo gibt es professionelle Hilfe?
Dank eines dichten Netzes gibt es zahlreiche Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für verschiedene Suchtformen – auch für Medikamentenabhängigkeit. Wenn Sie das Gefühl haben, abhängig zu sein, finden Sie zum Beispiel unter folgenden Adressen professionelle Hilfe: